Nach dem Jahr 2006 habe ich heute zum zweiten Mal in Oberrieden zum Nationalfeiertag gesprochen. Folgend können Sie den vollständigen Wortlaut nachlesen…
[h2]Ansprache 1. August 2014 in Oberrieden[/h2]
(Es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Oberriednerinnen, liebe Oberriedner, geschätzte Gäste
Nach 2006 ist es heute das zweite Mal, dass ich hier in Oberrieden eine Ansprache zum 1. August halte. Damals betrat ich als neu gewählter Gemeindepräsident dieses Podium. Im vergangenen Mai haben sie mich für eine dritte Amtszeit wiederum als Gemeindepräsident gewählt. Für dieses Vertrauen und die Bestätigung meiner bisherigen Arbeit bedanke ich mich bei allen Stimmberechtigten. Als Gemeindepräsident gibt es nicht sehr viele Gelegenheiten, frei zu Themen zu referieren, die einem persönlich bewegen. Meist spricht man zu konkreten Geschäften – z.B. an der Gemeindeversammlung – oder man spricht in geschlossenen Kreisen wie Versammlungen, Service-Clubs oder Veranstaltungen. Ich habe mir daher dieses Jahr die Freiheit genommen, nach 8 Jahren diese Plattform wieder einmal zu nutzen und selber zu Ihnen zu sprechen, anstatt einen Redner einzuladen. Für das nächste Jahr wird aber wieder ein Gast zu uns sprechen. Ob das dann besser oder schlechter ist, werden Sie am Schluss dieser Ansprache beurteilen können.
Ansprachen am Nationalfeiertag drehen sich oft um die gleichen Themen: Nationaler Zusammenhalt, Freiheit und Eigenständigkeit, Eigenverantwortung, Neutralität und den Sonderfall Schweiz. Ich könnte jetzt also
– zu einem Exkurs ausholen und die Geschichte der Schweiz glorifizieren,
– über unsere Zukunft in einem sich vereinigenden Europa philosophieren und für oder gegen eine weitere Annäherung an Europa plädieren,
– und schliesslich die Familie als Kern unserer Gesellschaft beschwören und Sie dazu aufrufen, ihre Eigenverantwortung im Gemeinwesen wahrzunehmen.
Nicht das Sie glauben, dass ich zu diesen Werten nicht stehen würde oder heikle Themen umgehen möchte. Trotzdem glaube ich, dass Sie diese Themen bereits kennen und schon oft gehört haben. Ausserdem glaube ich, dass Sie auch deshalb ins Ebnet gekommen sind, um einen geselligen Abend an einem der schönsten Orte am See zu verbringen. Ich werde mich deshalb kurz halten und meine Ausführungen auf ein Thema fokussieren, das ich für bedenkenswert halte:
[h5]Unser Zusammenleben[/h5]
Das Zusammenleben in unserer Dorfgemeinschaft empfinde ich als überaus gut, geprägt von Toleranz und gegenseitigem Respekt. Für mich ist das ein wichtiger Umstand, weil diese Toleranz und der gegenseitige Respekt auch die politischen Diskussionen prägen und versachlichen. Und es ist mit ein Grund dafür, warum ich meine Aufgabe als Präsident in dieser Gemeinde sehr gerne erfülle. Es mögen verschiedene Faktoren dazu beitragen, dass dies so ist:
– Die Grösse der Gemeinde ist noch übersichtlich, man kennt sich, sofern man sich im Dorfleben integrieren will,
– Unsere Jugend hat viele gemeinsame Erlebnisse, die zum Beginn der Schulzeit im gleichen Schulhaus stattfinden – ein Umstand, der mir erst an der letztjährigen grossen Klassenzusammenkunft richtig bewusst geworden ist,
– Unsere Dorfvereine funktionieren – auch wenn Veränderungen stattfinden und ein beliebig grosses Freizeitangebot aufgrund der Möglichkeiten der Mobilität jederzeit erreichbar ist,
– Trotz fortschreitender „Professionalisierung“ auf allen Ebenen und dem Anspruch darauf, ist die Freiwilligenarbeit in unsere Dorf ein wichtiger Faktor geblieben.
Bestimmt liessen sich noch mehr Gründe dafür finden, warum das Zusammenleben in unserem Dorf – über alles gesehen – wirklich gut funktioniert. Als Vorsteher der Gemeinde weiss man dies alles zu schätzen – nur, verordnen lässt sich das nicht. Die Gemeinde kann – gerade bei den „soft Skills“ – nur dazu beitragen, dass die Rahmenbedingungen dafür gut sind. Konkret bedeutet dies, dass für Vereine und die Freiwilligenarbeit die notwendige Infrastruktur zur Verfügung steht und dies möglichst kostengünstig oder kostenfrei, dass von Seite der Gemeinde versucht wird zu unterstützen und zu ermöglichen und gemeinsam Hürden aus dem Weg zu räumen, statt nur die Hindernisse zu sehen und dass in den Familien neben der Erziehung und in einer gut ausgestatteten Schule neben Bildung auch Werte vermittelt werden. Für den Rest müssen Sie selber sorgen, sei es in der Familie, im Verein, in der Partei, im Quartier, durch ihr persönliches Engagement und Ihren Einsatz. Allen, die dazu beitragen – sichtbar oder im Verborgenen – danke ich deshalb an dieser Stelle!
[h5]Kompromiss hat uns weiter gebracht[/h5]
Wenn wir aber nicht nur Nabelschau betreiben wollen, sondern den Blick über den Tellerrand anheben, dann verändert sich das Bild, das wir vom Zusammenleben erhalten. Die Solidarität im Kanton und im Bund wird stark strapaziert – nicht zuletzt durch den Ausgleich von finanziellen Ressourcen. Zudem stellen verschiedene Interessengruppen lauthals Forderungen, die sich oftmals diametral entgegenstehen. So wird die Beschränkung des Verbrauchs an Kulturland und der Zersiedlung oder aber wirtschaftliche Wachstumsperspektiven für den Kanton und das Land gefordert. Man reklamiert mehr Raum für den Individualverkehr oder für den öffentlichen Verkehr, verbunden mit der Forderung nach den entsprechenden Mitteln für die Finanzierung. Man wünscht die Wiederherstellung der Freiheit für unsere Finanzindustrie oder weitere Beschränkungen und weitergehende Auflagen, als uns diese von aussen schon ohnehin diktiert werden. Es wird ein Mindestanteil an Selbstversorgung aus inländischer Produktion an Nahrungsmitteln (der sogar in der Bundesverfassung Eingang finden soll) gefordert oder die möglichst ungehinderte Versorgung auf einem globalisierten Markt. Es eine radikale Energiewende innerhalb einer kaum überblickbaren oder prognostizierbaren Zeitspanne gefordert und gleichzeitig macht sich die Sorge um Arbeitsplätze aufgrund höherer Kosten oder Fehlanreizen bei den Investitionen im Energiebereich breit. Man wünscht eine starke Verteidigungsarmee oder deren vollständige Abschaffung. Es wird die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zur Sicherung eines ungehinderten Marktzugangs angestrebt oder aber die Beschränkung – vorderhand der Zuwanderung, über die weiteren Auswirkungen können wir derzeit nur spekulieren.
Gerade unser Verhältnis zur EU rückt mit der Zustimmung zur Masseneinwanderungsinitiative in den Fokus der politischen Diskussion. Man mag zur Zuwanderung in unser Land stehen wie man will – was mir fehlt, ist die Tiefe in der Diskussion darüber: welche Optionen stehen uns tatsächlich zur Verfügung – mit Europa und mit der übrigen Welt? Woher kommt unser Wohlstand, wie wollen wir diesen erhalten oder sind wir bereit zu Abstrichen? Wieviel Wirtschaftswachstum verträgt unser Land und was sind die Konsequenzen daraus? Sind wir bereit diese auch zu tragen, z.B. bezüglich Land- und Ressourcenverbrauch, benötigter Arbeitskräfte und deren Herkunft, der Art wie sich unser Siedlungsgebiet entwickeln müsste?
[h5]Ungelöste Fragen in der Raumplanung [/h5]
Die Diskussion um die Raumplanung ist aus meiner Sicht ein Paradebeispiel für dieses Dilemma, in dem sich das Land momentan befindet: die Stimmberechtigten haben an der Urne einem restriktiven Raumplanungsgesetz zugestimmt, der Kanton Zürich hat als erster dieses Gesetz in einen kantonalen Richtplan gegossen, der kein neues Siedlungsgebiet mehr zulässt und über die Umsetzung der Kulturlandinitiative werden die Gerichte entscheiden müssen. Man scheint sich also darüber einig, dass das Kulturland geschützt werden soll. Das Gebot der Stunde würde also „innere Verdichtung“ heissen – nur diese findet nicht statt, weil schlussendlich jene Personen über die Umsetzung der inneren Verdichtung befinden, die dort wohnen, wo diese stattfinden soll. Und dass will niemand!
Konkret heisst das, dass die Entscheide in verkehrter Reihenfolge getroffen werden. Wenn wir uns darüber einig wären, dass wir weiterhin ein Wirtschaftswachstum zur Sicherung des Wohlstandes wollen, müsste dazu der Raum zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Darauf wiederum hätte sich die Verkehrspolitik auszurichten: wo sollen sich die Arbeitskräfte niederlassen können, wo liegen die Entwicklungsgebiete für Arbeitsplätze? Und mit welchen Transportmitteln soll dieses Verkehrsaufkommen am sinnvollsten bewältigt werden?
Damit will ich nicht etwa einer Neuauflage der Planwirtschaft das Wort reden, aber klarstellen, dass die Wirtschaft auch klare Rahmenbedingungen braucht, in der sie sich entwickeln kann. Die Festlegung dieser Rahmenbedingungen sollten wir in der richtigen Reihenfolge vornehmen und uns der Konsequenzen daraus bewusst sein. Und wir sollten ehrlich zu uns selber sein: wir können uns nicht im Kopf ein Bild davon machen wie wir unser Land gerne hätten, auf der anderen Seite aber in einer Realität leben, die dieses Bild längst überholt hat. Nur so können wir schliesslich ein Zusammenleben sicherstellen, dass nicht nur in unserer Gemeinde, sondern auch im Kanton und im Bund von gegenseitigem Respekt und von Toleranz geprägt ist – so wie wir es in Oberrieden heute haben.
Möglicherweise sind dies Werte, die in einem Umfeld in dem Extremforderungen an der Tagesordnung sind, vielleicht altmodisch anmuten, die nach Schwäche und Kompromiss tönen. Aber gegenseitiger Respekt und Toleranz sind schlussendlich Fundamente, auf denen unser Bundesstaat aufbaut, ohne die das Modell Schweiz nicht funktioniert. In diesem Sinn freue ich mich auf spannende Diskussionen und die kommenden Herausforderungen die ich gerne im Dialog mit Ihnen angehen werde.
Und wenn ich vier Wünsche an Sie richten dürfte, dann wären das folgende:
- eine rege Beteiligung an unserem Dorfleben, auch am politischen Leben in Gemeinde, Kanton und Bund
- eine kritische und vertiefte Auseinandersetzung mit den wirklich wichtigen Themen unserer Gesellschaft
- Entscheidungen mit Augenmass und keine Denkzettelpolitik
- Und vor allem wünsche ich mir, dass wir unsere vielfältigen Aktivitäten im Dorf aufrechterhalten können – für den Beitrag den Sie alle dazu leisten, danke ich Ihnen!
Zusammenleben heisst eben nicht nur sich gegenseitig zu respektieren und zu tolerieren, sondern auch Zusammen Leben!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!