Im Zentrum der Debatte im Kantonsrat stand am vergangenen Montag die Frage, ob die planerischen Voraussetzungen für einen Ausbau der Pisten am Flughafen Kloten geschaffen werden sollen oder nicht. Das Geschäft wurde zum Abschluss der Richtplandebatte behandelt. Unter dem kryptischen Titel „Vorlage 4788a – Beschluss des Kantonsrates über die Teilrevision des kantonalen Richtplans – Kapitel 4.7.1 Flughafen Zürich“ ging es noch einmal um wesentliche Beschlüsse.
Um die Bedeutung der Entscheide des Kantonsrates zu erkennen, muss man wissen, was ein solcher Eintrag im Richtplan bedeutet und welche Funktion ein Richtplan eigentlich hat. Im Richtplan werden „die grossen Linien“ gezeichnet. Wo soll künftig noch gebaut werden dürfen und wo soll die Landwirtschaft ihre Grundlage für die Versorgung vorfinden. Welche Verkehrswege sollen vorgesehen werden und wo sollen Kiesabbau oder Deponien zugelassen sein. Und welche Perspektiven soll der Flughafen dereinst haben. Wohl gemerkt: was im Richtplan steht, ist nicht automatisch bewilligt. Lediglich die Sicherung des Raumes ist damit erfolgt. Welche Strasse dereinst tatsächlich gebaut werden soll, liegt in der Hand der Parlamente oder der Stimmberechtigten. Denkt man an die Pläne für einen See- oder Stadttunnel oder eine äussere Nordumfahrung wird rasch klar, dass bis zum Zeitpunkt an dem die Bagger auffahren noch viel Zeit vergeht und zahlreiche Beschlüsse auf verschiedenen Ebenen gefasst werden müssen. Es geht also darum, auch späteren Generationen den Spielraum zu belassen, dereinst in Kenntnis der Fakten und Herausforderungen Entscheide fällen zu können.
Genauso verhält es sich auch in der Frage einer möglichen Pistenverlängerung. Sollen die Vorkehrungen getroffen werden, damit die Stimmberechtigten dereinst über eine Verlängerung der Westpiste 10/28 sowie der Piste 14/32 beschliessen können oder nicht. Nun – das Parlament hat entschieden. Mit 93 zu 76 Stimmen hat der Rat beschlossen, die Pistenverlängerungen aus dem Richtplan zu streichen. Dieser Beschluss mutet vor dem Hintergrund der Volksabstimmung im Jahr 2011 seltsam an. Damals haben die Stimmberechtigten des Kantons Zürich mit knapp 60% ein Pistenbauverbot recht deutlich abgelehnt. Die Ratsmehrheit hat sich aber um dieses klare Verdikt foutiert. Die Stimmberechtigten sollen nach ihrem Willen gar nicht mehr die Möglichkeit haben, im konkreten Fall entscheiden zu können.
Wie aber kam zum Schluss einer – aus der Sicht der SVP – äusserst erfolgreichen Debatte um den Richtplan ein solcher Beschluss zustande? Während der ganzen Richtplandebatte hielt ein starkes Bündnis der bürgerlichen Parteien zusammen. Man hatte sich entschieden, lokalpolitische Anliegen zugunsten einer vernünftigen Gesamtschau hintenan zu stellen. Die einzigen „Ausrutscher“ waren die Umfahrung von Fällanden und das Gewerbegebiet „Biswind“ in Herrliberg. Bei allen anderen der rund 250 Anträge hielt diese Mehrheit den Angriffen der Gegenseite wacker entgegen. Ausser beim Flughafen. Hier spielten die lokal- und regionalpolitischen Anliegen offenbar eine grössere Rolle, auch wenn mit einem positiven Beschluss noch nichts definitiv entschieden gewesen wäre. Zurecht reklamierten einige Parlamentarier, dass sie ihren Beitrag geleistet hätten – zuweilen entgegen lokaler Anliegen – und sich nun für dumm verkauft vorkämen. Als Beispiel mag hier der Stichentscheid des Ratspräsidenten Bruno Walliser (Volketswil) dienen: mutig hat er seinen Beitrag geleistet, damit auf dem Flugplatz Dübendorf neben dem Innovationspark auch künftig eine aviatische Nutzung erfolgen kann.
Versucht man den Entscheid des Parlamentes mit ein wenig Distanz zu beurteilen, erkennt man rasch, dass es sich in Tat und Wahrheit um einen Pyrrhussieg handelt. Dazu muss man wissen, dass in Flughafenfragen der Bundesrat das letzte Wort hat. Er ist es auch, der den Richtplan des Kantons bewilligt oder eben – mindestens teilweise – nicht genehmigt. Im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt – kurz SIL genannt – ist festgelegt, dass eine Pistenverlängerung vorzusehen ist. Dies hängt damit zusammen, dass aufgrund des von Deutschland noch nicht genehmigten Staatsvertrages zum Luftverkehr ein erhebliches Unsicherheitspotenzial darüber besteht, wie in Kloten künftig geflogen werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass im Fall einer Ablehnung dieses Vertrages die Möglichkeit besteht, dass Deutschland erneut eine einseitige Verordnung mit weiteren Einschränkungen erlässt. Man mag sich darüber ärgern, dass unser nördlicher Nachbar hier am längeren Hebel sitzt. Aber auch Deutschland ist ein Rechtsstaat, dessen Beschlüsse zu respektieren sind. Der Bundesrat wird deshalb gar nicht anders können, als den Entscheid des Kantonsrates umzustossen. Und als Kollateralschaden wird damit jenen Kräften Vorschub geleistet, die ohnehin die Mitsprache von Parlament und Stimmberechtigten im Kanton Zürich einschränken oder ganz beseitigen wollen.
Dies wiederum wird ganz andere Fragen aufwerfen. Ist es tatsächlich besser, wenn in Bern – möglicherweise gegen den Willen der Bevölkerung des Kantons – über den Flughafen entschieden wird? Oder reiben sich Genf und Basel die Hände beim Gedanken, in Zürich ein „Downsizing“ in die Wege zu leiten? Festzuhalten bleibt, dass der Kanton, das Parlament und vor allem die Stimmberechtigten des Kantons bisher eine massvolle Flughafenpolitik betrieben und dabei neben den Lasten auch den Nutzen dieser wichtigen Infrastruktur berücksichtigt haben. Schliesslich stehen wir als Wirtschaftsstandort nicht im Wettbewerb mit Olten oder Fribourg, sondern mit Frankfurt, Amsterdam und London.
Wenn nun im Rat auch neun Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion im Chor mit der bunten Ratsmehrheit aus SP, Grünen, Grünliberalen, EVP und AL beteuert haben, sie wüssten besser, was der Flughafen, der Wirtschaftskanton und unser Land künftig brauche, dann ist das nichts als Geschwätz. Solch wichtige Entscheide müssen zeitgerecht und in Kenntnis der konkreten Fragestellung gefällt werden. Deshalb es ist im höchsten Masse undemokratisch, dem mündigen Bürger diesen Entscheid vorweg zu nehmen. Genauso halte ich es aber auch für unklug, wenn der Freisinn unmittelbar nach der Debatte bereits eine Initiative zum Flughafengesetz ankündigt. Das riecht nach Zwängerei und Trotzreaktion. Das kommt selten gut an. Etwas mehr Geschlossenheit, Gelassenheit und der Blick fürs Ganze wäre hier angebracht gewesen.