Nein zur Kirchensteuerinitiative – Ja zur bewährten Zusammenarbeit von Gemeinden und Kirche

Aus meiner Sicht ist die Initiative «Weniger Steuern fürs Gewerbe (Kirchensteuerinitiative)» eine Mogelpackung: entlastet werden vor allem Konzerne und nicht das Gewerbe. Müssen durch die Gemeinden Aufgaben neu von den Kirchen übernommen werden, so haben dies alle Steuerzahler zu berappen. Dazu ein Streitgespräch in der NZZ vom 2. Mai 2014. 

«Eigentlich wollen Sie Kirche und Staat trennen»

Für Martin Arnold ist die Kirchensteuerinitiative eine Mogelpackung – Initiant Andri Silberschmidt hält dagegen

«Faire Kirchensteuern» fordern die Jungliberalen. Aber geht es ihnen um eine Steuerentlastung? Oder um die Trennung von Kirche und Staat? SVP-Kantonsrat Martin Arnold und der Präsident der Jungliberalen, Andri Silberschmidt, kreuzen die Klingen.

Herr Silberschmidt, Kirche – was bedeutet das für Sie?

Andri Silberschmidt: Ich bin Mitglied der reformierten Kirche, aber nur ab und zu in der Kirche, bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Für gläubige Menschen ist Kirche ein Ort, um Ruhe zu finden. Nicht mehr und nicht weniger.

Und Sie, Herr Arnold?

Martin Arnold: Ich bin katholisch, aber kirchlich nicht sehr engagiert. Kirche ist für mich ein Ort der Einkehr. Und sie bietet Menschen eine Anlaufstelle für Schwierigkeiten, mit denen sie sich an niemanden sonst wenden können.

Aber Kirche ist Privatsache?

Silberschmidt: Ja, Religion ist für mich eine reine Privatsache. Natürlich haben die Landeskirchen eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung. Aber sie stehen neben vielen anderen Institutionen.Arnold: Das sehe ich anders. Die Kirche hat eine wichtige Klammerfunktion in der Gesellschaft. Sie stiftet Zusammenhalt und ist auch Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität.Silberschmidt: Die Landeskirchen haben allein aufgrund ihrer Grösse eine grössere Bedeutung als andere Institutionen oder Vereine. Aber das schwindet, weil sie laufend Mitglieder verlieren und Kirchen immer kleiner werden.

Die Landeskirchen tragen gemeinnützige Angebote, Altersnachmittage, Kinderhütedienste, Seelsorge, Beratungsstellen. Und das nicht nur für Mitglieder.

Silberschmidt: Ich zweifle daran, dass diese Angebote wirklich so breit genutzt werden. Wer nichts mit Glauben anfangen kann, nutzt auch keine kirchlichen Dienstleistungen.Arnold: Das stimmt nicht. In den Gemeinden sind die Angebote der Kirchen entscheidend. Sie werden rege genutzt, und die Kirche entlastet damit die öffentliche Hand.

Sie stören sich an der privilegierten Position der anerkannten Landeskirchen, Herr Silberschmidt.

Silberschmidt: Ja. Keine Glaubensgemeinschaft darf privilegiert werden, ob das eine jüdische Gemeinde oder eine muslimische Gemeinschaft ist. Zudem verlieren die Landeskirchen laufend Mitglieder und damit auch an Bedeutung. Sie sollen sich auf ihre Kernaufgabe besinnen: die Verkündigung. Aufgaben, die nicht zum Kernauftrag gehören, haben nicht erste Priorität.

Herr Arnold, das Gewerbe entlasten, Steuern senken – das kommt ja fast direkt aus dem Parteiprogramm der SVP. Warum kämpfen Sie dagegen?

Arnold: Ich habe über zehn Jahre lang beim Gewerbeverband mit Unternehmern gearbeitet und gesehen, dass die Kirchensteuer für sie kein Thema ist. Dieser Beitrag für die Gemeinschaft wird von allen akzeptiert, weil sie die Leistungen der Kirchen, gerade im sozialen Bereich, sehr schätzen. Es sind andere Probleme, die das Gewerbe plagen, aber sicher nicht die Kirchensteuer.

Immerhin macht sie 4 bis 5 Prozent der gesamten Steuern einer Firma aus. Und insgesamt zahlen die Zürcher Firmen jährlich gut 100 Millionen Franken.

Arnold: Ja, aber ein Drittel der Zürcher Firmen zahlt überhaupt keine Kirchensteuer. Und in der Stadt Zürich zahlen 10 Prozent der Firmen 80 Prozent davon. Es sind die grossen, börsenkotierten Unternehmen, die den Hauptanteil zahlen. Und sie zahlen das gern, weil sie wissen, dass das Geld gut eingesetzt ist. Für die kleinen Unternehmen ist die Belastung gering.Silberschmidt: So gering ist sie nicht. Auch das muss verdient werden. Und sie bleibt eine stossende Zwangsabgabe. Firmen sind gezwungen, sie zu bezahlen, während Private aus der Kirche austreten können und nicht mehr zahlen müssen. Aber am 18. Mai haben wir einmal die Chance, die Steuerbelastung für Unternehmer zu senken.

Die Rechtsungleichheit zwischen Privaten und Firmen müsste auch Sie stören, Herr Arnold, oder?

Arnold: Das ist ein Solidaritätsbeitrag der Unternehmen an den Zusammenhalt der Gesellschaft in unserem Land. Unternehmen arbeiten nicht im luftleeren Raum, sondern profitieren auch von den Leistungen der Kirchen.

Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und generieren Wertschöpfung. Das ist ihre Solidaritätsleistung.

Arnold: Das ist richtig. Aber es bringt ja nichts, Firmen zu entlasten, wenn dafür die einfachen Steuerzahler mehr bezahlen müssen, damit die Angebote der Kirchen bezahlt werden können.

Also weniger Steuern für Unternehmen, aber mehr für die Allgemeinheit, Herr Silberschmidt?

Silberschmidt: Nein, die Kirchen können den Wegfall des Geldes kompensieren – mit Mitgliederbeiträgen, mit Spenden und Einsparungen. Sie sollen die Angebote aus eigener Kraft zahlen. Solange sie das anbieten, was die Leute wollen, werden die Mitglieder zahlen. Vielleicht finden die Kirchen so sogar wieder neue Mitglieder.

Die SVP unterstützt die Initiative, der Gewerbeverband auch. Sie schwimmen gegen den Strom, Herr Arnold.

Arnold: Ja, aber das macht ja nichts. Ich bin überzeugt, dass die Abstimmung in der Delegiertenversammlung kein Abbild der Meinungen in der Parteibasis ist. Im Kantonsrat stimmten in der SVP viele mit Nein. Und die sind in guter Gesellschaft. Die Handelskammer lehnt die Initiative ja auch ab. Ich bin überzeugt, dass die Abschaffung der Steuer für Firmen zu Problemen führt.

Weshalb?

Arnold: Als Gemeindepräsident von Oberrieden befürchte ich, dass die Gemeinden einspringen müssen, wenn die Kirchen ihre sozialen Angebote nicht mehr aufrechterhalten können – vom Mittagstisch für Kinder bis zur Spitalseelsorge. Das Bedürfnis dafür ist da. Am Ende muss der Staat das übernehmen, und die Gemeinden werden zur Kasse gebeten. Davor möchte ich die Gemeinden bewahren.Silberschmidt: Warum kommt Ihnen immer gleich der Staat in den Sinn? Die Kirchen sollen die Finanzierung der Leistungen selber regeln. Das können sie. Ich frage mich, warum die Kirchen nicht selbstbewusster sind.Arnold: Die Kirchen sind schon selbstbewusst. Aber Ihre Argumentation zielt an der Realität vorbei. Die Initiative ist eine theoretische, orthodox liberale und realitätsferne Angelegenheit.

Was ist realitätsfern?

Arnold: Haben Sie wirklich den Eindruck, es würden sich Private finden, die plötzlich einen Besuchsdienst für alte Menschen oder Altersnachmittage organisieren? Das ist zwar wichtig, aber unattraktiv für Private. Und haben Sie das Gefühl, das Ganze werde so einfacher und billiger? Denken Sie an die vielen Freiwilligen, die gratis in der Kirche arbeiten. Professionalisierung zieht immer höhere Kosten nach sich.Silberschmidt: Freiwillige arbeiten auch in Sportvereinen oder Jugendorganisationen. Das ist kein Argument. Schauen Sie in den Aargau, nach Basel-Stadt oder Schaffhausen. Dort funktioniert das System auch ohne Kirchensteuern.Arnold: Und wie viel zahlt dort der Staat? Die 50 Millionen Franken, die der Kanton Zürich heute zahlt, würden jedenfalls nicht reichen. Sie schütten das Kind mit dem Bad aus. Und Sie kümmern sich nicht im Geringsten um die Konsequenzen Ihrer Forderung.

Konkret, Herr Silberschmidt, wer würde die sozialen Angebote weiterführen?

Silberschmidt: Sie reden immer von den sozialen Angeboten. Aber erstens bieten die Kirchen auch Sachen wie Social-Media- oder Leadership-Kurse an. Das ist nicht ihre Aufgabe, und das kann man ohne Schaden streichen. Und zweitens fliesst längst nicht alles Geld in die Angebote. Schauen Sie einmal, wie viel Geld die Kirche für ihre Verwaltung braucht. Die Unternehmer finanzieren mit ihren Steuern zu zwei Dritteln die Verwaltung oder Abschreibungen auf Liegenschaften. Bei einer Pfadfinderorganisation oder bei Pro Juventute ist das Geld deutlich besser investiert.Arnold: Und Pro Juventute übernimmt dann die Gefängnisseelsorge? Das glauben Sie ja selber nicht. Und was die Verwaltungskosten betrifft: Es gäbe Verwaltungsapparate, die eher schrumpfen müssten als der der Kirche.Silberschmidt: Oder schauen Sie, wie viel die Kirche für die Gegenkampagne zu unserer Initiative ausgibt – ich vermute, dass es mehr als 100 000 Franken sind. Ist das demokratisch? Nein.

Herr Silberschmidt, überraschen Sie die heftigen Reaktionen auf die Initiative?

Silberschmidt: Nein. Aber mich überrascht, dass viele Leute aus einer oft etwas diffusen emotionalen Bindung an die Kirche heraus ihre liberalen Grundprinzipien über Bord werfen. Viele sagen: «Ihr habt ja eigentlich schon recht, aber die Kirche ist doch eine gute Institution.» Das klingt so, als ob wir die Kirchen abschaffen oder privatisieren wollten. Das wollen wir ja nicht. Aber auch die Kirchen und ihre Arbeit darf man hinterfragen.

Sie wollen den Kirchen 100 Millionen Franken streichen. Das geht ans Lebendige.

Arnold: Da sieht man eben, dass die Initiative eine Mogelpackung ist. Faktisch wollen Sie Kirche und Staat trennen. Darum geht es Ihnen eigentlich.Silberschmidt: Wenn die Initiative angenommen wird, gibt es sicher Stimmen, die eine Trennung fordern. Ich habe Sympathien dafür. Aber viele bei uns im Komitee können mit einer Trennung nichts anfangen. Wir wollen nicht mehr als eine ordnungspolitisch saubere Lösung für die Kirchensteuer.

«Faire Kirchensteuern», wie es auf Ihrem Abstimmungsplakat heisst?

Silberschmidt: Ja, das heutige System ist unfair.Arnold: Nein, das ist es nicht. Wir haben das Verhältnis von Kirche und Staat sauber geregelt. Und es gibt zurzeit keinen Grund, daran etwas zu ändern.

Interview: rib.

Link zum Artikel: http://bit.ly/1ocy072