Eine wirtschaftspolitische Standortbestimmung
Die Schweiz hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Stürme und Krisen vergleichsweise gut überstanden. Grund dafür ist die liberale Wirtschaftsordnung, eine zurückhaltende Regulierung, eine auf langfristige Sicherheit ausgerichtete Finanzpolitik und der Sinn für das Gemeinwohl der Stimmberechtigten. Diese Vorteile werden aber scheibchenweise Preis gegeben.
Von vielen Bürgern der umliegenden Länder, aber auch von anderen Kontinenten, wird das „Modell Schweiz“ mit einem gewissen Neid und Respekt beobachtet. Während die westliche Welt unter der hausgemachten Schuldenkrise leidet, hält sich die Schweiz sehr gut. Eine freiheitliche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Rechtssicherheit und ein zurückhaltender Staat sind Grundpfeiler für diesen Erfolg. Nicht zuletzt deshalb gilt die Schweiz nach wie vor als sicherer Hafen. Das zeigt schon der Vorwurf, die Schweiz sei eine Steueroase. Eigentlich trifft diese Aussage direkt den Absender, der sich offensichtlich in einer Steuerwüste befindet. Selber Schuld, müsste man das sagen! Und für die Beobachter von aussen ist es die erstaunlichste Tatsache, dass schlussendlich nicht eine Regierung, ein Präsident, eine Monarchie oder eine Diktatur dieses Erfolgsmodell zentral steuert, sondern dass in einem föderalen System die Stimmberechtigen selber in zahllosen Entscheiden an der Urne oder der Gemeindeversammlung dieses System weiterentwickelt. Für einen Franzosen, Amerikaner oder Russen ist dies schlicht unvorstellbar. Selbst die systembedingte Langsamkeit der politischen Prozesse muss – über einen längeren Zeitraum gesehen – als Vorteil gewertet werden. Sie hat uns davor bewahrt, jeden Trend, jede momentane Befindlichkeit, sofort in neue Gesetze und Regulierungen zu giessen.
Vorsicht Falle
Genau dieser langfristige Erfolg scheint nun aber zur Falle zu werden, man könnte sie Wohlstandsfalle nennen. Immer mehr Menschen in unserem Land glauben, unser Wohlstand sei von Gott gegeben. Wir könnten uns alles leisten, und zwar subito. Die Freiheiten werden bis an die Grenze und darüber hinaus ausgereizt. Und rasch ertönt der Ruf nach neuen Regeln, den die Politik immer bereitwilliger und unkritischer aufnimmt. Dabei wird leider allzu oft vergessen, dass wir damit genau an jenen Grundwerten rütteln, welche das Erfolgsmodell Schweiz letztlich überhaupt ermöglicht haben. Der Sinn für die gemeinsamen, langfristigen Interessen wird immer mehr von der Optimierung des unmittelbaren individuellen Eigennutzes verdrängt. Das ist Wasser auf die Mühlen jener Kreise, die an die Allmacht des Staates glauben, daran, dass sich alles gesetzlich regeln lässt und dass durch Umverteilung die Ungleichheiten von Einkommen und Vermögen eingeebnet werden müssten.
Augenmass behalten
Tatsächlich stehen heute Themen auf der politischen Agenda, die man sich noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnte. Ein Stück weit mag das nachvollziehbar sein. Der Ärger vieler Bürger in diesem Land über die Exzesse in einigen Chefetagen ist gross. Linke Kreise verspüren in diesem Umfeld Morgenluft. Alle alten Anliegen, die man mit dem Niedergang des real gelebten Kommunismus überwunden glaubte, werden wieder aus der Mottenkiste geholt. Und die Medien stimmen freudig in den Chor der vermeintlichen Heilsbringer für die „Arbeiterklasse“ mit ein.
Im Kanton Zürich wird am 9. Juni über die „Bonzensteuer-Initiative“ abgestimmt. Sie will die Progression bei Vermögen über 2 Millionen Franken nochmals deutlich anheben. Dabei wird ausser Acht gelassen, dass eben dort die Progression im Kanton Zürich schon heute vergleichsweise gross ist und diese Kreise einen weit überproportionalen Beitrag leisten. Und für das Gewerbe besonders fatal wird es dann, wenn dieses Vermögen nicht auf dem Bankkonto liegt, sondern in einem Betrieb investiert ist. Der Inhaber wird dann also seiner Firma Substrat (Cash) entziehen müssen um als „Bonze“ seiner Steuerpflicht nachkommen zu können. Geld das in die Umverteilung statt in die Sicherung des Betriebes und dessen Weiterentwicklung fliessen soll.
Auf nationaler Ebene kommen die 1:12-Initiative und die Erbschaftssteuerinitiative auf uns zu. Beide bauen auf dem gleichen Neid-Argument auf. Aber auch der liberale Arbeitsmarkt steht unter erheblichem Druck. Im Raum stehen die Initiativen für ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ und die Mindestlohninitiative. Zudem werden über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit immer neue Regulierungen im Arbeitsmarkt eingeführt, die uns langsam aber sicher europäische Verhältnisse bescheren. Die Zugeständnisse die hier gemacht werden (ähnlich wie bei den Gesamtarbeitsverträgen) haben jedes vernünftige Mass längst überschritten. Und vor allem werden damit die Ängste weiter Bevölkerungskreise vor der Zuwanderung nicht genommen. Auch nicht mit dem Placebo der „Ventilklausel“.
Arbeitgeberverbände, Parteien und die gewerblichen Organisationen, aber auch die vernünftigen Linken und Gewerkschafter sind gefordert gemeinsam Gegensteuer zu geben. Fundamentale Rezepte von hüben und drüben sind hier fehl am Platz. Es liegt an uns allen, das Erfolgsmodell Schweiz mit Augenmass weiter zu entwickeln und gegen Angriffe von innen und aussen zu schützen. Schliesslich ist es nicht verboten, von den Fehlern anderer zu lernen und diese nicht im Selbstversuch zu wiederholen.